Vielleicht haben Sie es schon gemerkt. Unsere Gesellschaft steckt wie der Rest der Welt in enormen Veränderungen und vor noch enormeren Herausforderungen (Internationale Katastrophen, Klimakrise, Shitstorms auf Social Media, um nur ein paar zu nennen). Durch das Coronavirus ist die Ruhe endgültig zerstört: Überall lauern Konflikte - auf nationaler Ebene und internationaler Ebene - ebenso wie am Küchentisch. Es entsteht der Eindruck, dass wir weder im privaten Raum noch in der Öffentlichkeit mehr sicher sind vor all dem was auf uns einprasselt.
Dabei ist dieses Konfliktpotential aus Sicht der Konfliktforschung, Psychologie und Bindungsforschung wenig verwunderlich. Hier lautet die Formel: Wenn zwei Menschen mehr als vier Minuten in einem Raum sind, entsteht ein Konflikt. Das heißt nicht unbedingt, dass Streit entsteht. Es heißt vielmehr, dass unterschiedliche Gedanken, Sichtweisen und Ideen aufeinander treffen und sich aneinander reiben. Für Konfliktursachen hat die Bindungsforschung eine ganz simple Erklärung: Wir Menschen bewegen uns von Beginn unserer Existenz an (wann die beginnt, darüber lässt sich streiten) im Spannungsfeld zwischen dem Streben nach Verbindung und dem Streben nach Autonomie. Wir brauchen die Verbindung zu den anderen und wir brauchen es aber auch, dem Streben nach Autonomie nachzukommen. Dass immer wieder Konflikte entstehen, ob in uns selbst oder in Verbindung mit anderen, ist demnach völlig normal. Was also macht die Konflikte unserer Zeit so überwältigend und anscheinend wenig lösbar?
Unsere Konfliktfähigkeit braucht ein Update
Die Antwort liegt in unserer dramatisch schlechten Konfliktbereitschaft und fehlenden Beziehungskompetenz. Die meisten von uns haben schlicht nie gelernt, was ein Konflikt bedeutet; wie wir uns damit fühlen, wie wir eine Haltung entwickeln und wie wir gemeinsam mit anderen Lösungen erarbeiten können. Dieses Wissen fehlt sowohl im privaten, wie auch im öffentlichen Umfeld. In Partnerschaft, unter Freunden und in Familien, werden Konfliktmomente oft umschifft oder mit Humor entwaffnet. Meist ist das Verständnis: die Zeit, die wir miteinander verbringen, ist wertvoll und Konflikte rauben uns diese Zeit. Sie stören die Harmonie. Dem gegenüber stehen die Konflikte im demokratischen öffentlichen Bereich. Hier ist klar: Für unsere gesellschaftlichen Debatten sind Konflikte essenziell. Sie sind notwendiger Schritt zur Weiterentwicklung. Doch die Art und Weise wie in der Öffentlichkeit miteinander umgegangen und gegeneinander gesprochen wird macht gemeinsame Lösungen schwer.
Unser Umgang mit Konflikten braucht dringend ein Update.
Denn weder Harmoniebedürfnisse im Privaten, noch die Art und Weise wie wir in der Öffentlichkeit Fronten gegeneinander aufbauen, vermag uns neue Wege aufzuzeigen oder gar zu Lösungen führen. Dabei brauchen wir dringend neue Wege und Lösungen für viele festgefahrene Debatten, in denen wir stecken (Beispiele sie oben oder in dieser Zeitung).
Ausgerechnet Unternehmen erweisen sich als wichtige Schlüsselfiguren. Denn sie liegen inmitten einer feinen Schnittstelle zwischen privatem und öffentlichem Raum. Um als lebendiger Organismus bestehen können, müssen Unternehmen sich weiterentwickeln. Die Themen, mit denen sie sich befassen ähneln denen unserer Gesellschaft stark. Dazu gehören diese Fragen: Was brauchen Menschen, um einen wirklich guten Job zu machen? Was heißt Mitarbeitende eigentlich heute? Wie gestalten wir den Arbeitsplatz für Menschen so, dass sie denken, Fehler machen, fühlen und in Konflikte geraten können, um Lösungen zu finden? Wie wird Arbeit heute erledigt? Wie gehen wir mit dem Thema Nachhaltigkeit um? Wie finden wir Balance zwischen KI und menschlicher Verantwortung? Wer trifft Entscheidungen und wer wird warum wie gefördert?
Tatendrang und Machtlosigkeit
Die Wandlungsprozesse in Unternehmen zeigen, dass Unternehmen auf verschiedensten Ebenen nach neuen Ideen zu derzeitigen Herausforderungen werkeln. Die Menschen, die viele Lösungen in ihren Taschen haben sind die Generation Y und Z. Mittlerweile dürfen Sie sich freundlicherweise äußern, aber sie bekommen viel zu wenig Möglichkeiten, um ihre Ideen zu äußern, sie auszuprobieren. Daraus entsteht das lähmende Gefühl von Machtlosigkeit. Diese Machtlosigkeit wandelt sich in Abwendung, Frustration, Panik oder Wut. Was auch sonst? Schließlich sind diese Generationen aufgewachsen mit dem Gedanken: „Wir sind die Zukunft, unsere Ideen werden und müssen die Welt verändern.“ Und wenn sie sich dann den Weg nach vorne bahnen sind die Türen meist verschlossen, das Lächeln zwar freundlich, aber die Arme verschränkt. Das lässt das Potential dieser Generation ungenutzt. Es braucht daher dringend Möglichkeiten, das eigene Potential verstehen zu lernen und gemeinsam in Taten umzusetzen.
Um mit oben genannten Schritte umzusetzen, sind die älteren Generationen gefragt. Ihre Fähigkeit und besonders ihre Lebenserfahrung ermöglichen es, die jungen Generationen in diesem Prozess zu begleiten. Unternehmen, die in ihrer Weiterentwicklung Fortschritte machen, haben meistens Menschen in den Chefetagen, die Türen öffnen, Vertrauen schenken und die eigene Lebenserfahrung teilen. Ohne Vertrauen gibt es keine Offenheit. Die braucht es aber in noch undurchsichtigen Prozessen. Das ist eine große Aufgabe und verlangt Verletzlichkeit. Die zu lernen bedarf Arbeit im Bereich Beziehungskompetenz und Umgang mit Emotionen.
Wenn wir diese Basis haben, können wir beginnen zu handeln.
Neue Wege
Es bedarf neuer Wege, wie Lösungen herbeigeführt werden. Statt Fronten zu bauen brauchen wir ein ehrliches und gemeinsames Ziel, an dem sich beide orientieren. Das gibt es schon in immer mehr Unternehmen, fehlt allerdings besonders in unseren aktuellen gesellschaftlichen Debatten, in denen die Generationen aufeinander treffen. Ein aktuelles Beispiel ist die Frontenbildung, die gerade bei der Corona-Prävention zwischen Alt und Jung aufgebaut wird. Was ist der Zweck davon und wem nützt das wirklich? Klar ist doch: Eigentlich haben wir alle die gleichen Wünsche und Ziele und zwar wieder ein normales Leben führen zu können.
In unklaren Prozessen brauchen Menschen Klarheit. Das erreichen wir, indem wir einander zuhören statt anklagen: Wie kann eine Veränderung stattfinden? Was ist wichtig und worauf sollten wir füreinander achten? Wie bauen wir eine Beziehung zueinander auf? Diese Fähigkeiten vermittelt die Beziehungskompetenz und in diesem Prozess sind einige Unternehmen uns schon einen großen Schritt voraus.
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